Es ist Sonntagvormittag Ende April und das Wetter meint es gut. Trocken und Sonne. Der Parkplatz, der unterhalb des Berges liegt, ist fast vollständig belegt. Der Weg ist gut erkennbar – ein Fußweg ist angelegt und eingezäunt. Das ockerfarbene Gras des letzten Jahres schmiegt sich an den Himmel, der Wind schiebt dunkelgraue Wolken über kobaltblauen Hintergrund. Wie so oft: in Island ist jedes Wetter gleichzeitig. Der Weg geht recht steil nach oben, doch schon nach knapp fünf Minuten stehe ich am ersten Ausgangspunkt zum Fjaðrárgljúfur.
Schon jetzt sieht das Gelände, der Blick in die Schlucht, so aus als würde ein Flugsaurier die Felsen umkreisen. Wie aus einer anderen Welt, aus einer anderen Zeit. Später habe ich gelesen, dass für die Fantasy-Serie „Games of Thrones“ hier gedreht wurde, die ich aber noch nie gesehen habe.
Fährst du auch in den Justin Bieber-Canyon?
Ich habe von dem Canyon Fjaðrárgljúfur zum ersten Mal gehört, als ich meine erste Reise nach Island 2019 vorbereitet habe. „Fährst du auch in den Justin Bieber-Canyon?“ fragte mich eine Freundin. Den was? Den Popstar kenne ich, seine Musik auch. Offensichtlich wurde die Schlucht vor einigen Jahren weltberühmt, weil Justin Bieber den Ort für eines seiner Musikvideos genutzt hat. Aber bei Musikvideos bin ich eher raus. Einmal kurz googeln zeigte mir damals, dass der Canyon nicht auf meiner Reiseroute lag.
Doch in diesem Jahr wollte ich weiter östlich und habe ihn wieder gegoogelt. Wie sieht das nochmal aus? Ja, wirklich fantastisch! Die Seiten, die ich fand, schrieben auch darüber, dass die Presse rund um dem Star einen solchen Hype ausgelöst hatte, dass die Schlucht geschlossen werden musste für einige Jahre. Die Schäden an der Natur, die die Scharen an Touristen hinterlassen hatten, mussten repariert werden. Inzwischen ist sie wieder geöffnet und es wurden Wege angelegt, die man auf keinen Fall verlassen sollte.
Hier an dem Felsvorsprung, an dessen Rand man fast herankommt, kann man gut sehen, wie wichtig den Isländern die Absperrung der Wege ist. Kleine Schilder weisen noch einmal ausdrücklich darauf hin, nicht die Natur außerhalb des Absperrseils zu betreten.
Ich mache unzählige Fotos und Videos, vom Blick nach Norden in die Schlucht hinein, und von der Weite nach Süden über das Plateau hinweg mit dem Schauspiel des Himmels.
Ich habe zuvor im Internet recherchiert, dass es eine Wanderung von circa einer Stunde ist und es insgesamt drei Aussichtspunkte gibt. Da ich vor meiner Islandreise krank gewesen war und vor allem berg- oder treppauf noch eine ziemliche Herausforderung darstellen, habe ich mir vorgenommen, nur so weit zu gehen, wie es meine Kondition zulässt. Doch nur gut fünf oder zehn Minuten erscheinen mir definitiv zu wenig.
Fjaðrárgljúfur: Aufstieg zum zweiten Aussichtspunkt
Der Weg zum zweiten Aussichtspunkt ist deutlich steiler. Ich überlege noch, ob es eine gute Idee ist, den zu erklimmen in meinem Zustand, da sehe ich eine Ansammlung von Menschen nicht so weit weg von mir. Ich schwanke allerdings nur kurz: zu groß ist der Drang, den Canyon in all seiner Schönheit ganz zu sehen. Und ich würde mich viel zu sehr ärgern. Klarer Fall von FOMO!
Also geht es bergauf, sehr sehr langsam. So langsam, dass die Familie mit den zwei Kleinkindern sogar schneller ist. Aber ich komme an. Und werde belohnt mit einem noch schöneren Ausblick. Die Schlucht Fjaðrárgljúfur ist einfach wahnsinnig schön.
Und die Überraschung: ab hier ist man auf dem Plateau angekommen. Der weitere Weg ist ebenerdig.
Die Wanderung geht nun gemütlich durch beige-braune Wiesen, die noch nicht grün sind. Weiche Berge schmiegen sich an den Horizont. Linkerhand von mir sehe ich nur den Rand der Fjaðrárgljúfur-Schlucht.
Der Ausblick über den Fjaðrárgljúfur ist den Fussmarsch wert
Gut fünfzehn Minuten nach dem zweiten Aussichtspunkt bin ich am Ende des Weges angekommen. Nach links geht es auf einen mit Gitter gebauten Vorsprung, von wo man den sagenhaften Ausblick auf die Schlucht hat, den ich so oft vorher schon gesehen habe.
Das Wasser schlängelt sich dunkel-türkis am Boden entlang, die Gräser und Mose am Hang der Felsen sind bereits gelb-grün. Wie Zacken stellen sich die Felsen hintereinander auf und weisen den Weg hinunter ins Plateau. Der Ausguck ist super positioniert, sodass man hier gut seine Selfies mit dem Fjaðrárgljúfur als dem perfekten Hintergrund machen kann.
Ein zweiter Ausguck ist noch am nördlichen Ende gebaut, es geht einige Stufen nach unten auf einem ebensolchen Gitter. Von dort kann man gleich zwei Wasserfälle sehe, die den Fluss Fjardra speisen.
Nach unzähligen Fotos geht es beschwingt wieder nach unten. Und da muss ich gestehen: auch abwärts ist es doch recht steil und ich bin sehr froh, dass es an diesem Tag trocken ist. Bei Eis oder viel Regen kann ich mir vorstellen, dass es hier recht rutschig wird.
Praktisches
Hard Facts
Fjaðrárgljúfur ist ein Canyon im Süden von Island, der etwa acht Kilometer westlich von Kirkjubæjarklaustur liegt. Er ist über die Straße F206 erreichbar.
Die Schlucht entstand durch das fließende Wasser, das von den Gletschern kam und sich seinen Weg durch das Palagonitgestein bahnte. Im Laufe von Tausenden von Jahren grub es sich immer tiefer hinein. Der namensgebende Fluss Fjaðrá fließt durch die Schlucht.
Der Aufstieg zur Schlucht dauert hin und zurück circa 1 Stunde. Es geht steil bergauf am Anfang, dafür wird man hier wirklich mit einer atemberaubenden Natur belohnt. Ich kann verstehen, woher der Hype kam 😉
- Anstieg crica 100 Meter
- Gesamtstrecke 2 Kilometer
- Gesamtzeit: gemütlich circa 1 Stunde hin und zurück
- Es gibt einen Parkplatz mit Toilette (im Winter nicht geöffnet).
Funfact
Wer sich einmal das Justin Bieber Video anschauen möchte, das den Hype um den Fjaðrárgljúfur ausgelöst hat, kann das hier tun. Ich war überrascht zu sehen, dass es an noch an vielen weiteren bekannten Orten Islands gedreht wurde und darüber scheinbar nicht berichtet wurde. In dem Video passieren noch einige andere Dinge, die man definitiv nicht machen sollte. Wer sich auch gefragt hat, warum wohl an der Gletscherlagune Jökulsárlón ein „Nicht Baden“-Schild steht… 😉