Kvikkjokk: Tor zur Wildnis Schwedisch Lapplands

schneebedeckter Berggipfel vor blauem Himmel, davor ein wilder Fluss durch große Steine, an dessen Rand wachsen Tannen

Wenn ich es reißerisch formulieren möchte, würde ich sagen, ich bin den Kungsleden gewandert. Doch in Wahrheit ist der stolze 440 Kilometer lang und damit nicht ganz in meinem Fitnesslevel 😅 Es gibt viele Infos zu den Wanderungen im Internet (der bekannteste Teil davon wird in einer Woche gewandert, mit Übernachtungen in Hütten).

Aber ich hatte auf dieser Reise noch das Ziel Nordkap vor mir und der „Wandertag“ in Kvikkjokk in Schwedisch Lappland sollte lediglich ein kleiner Abstecher werden.

Von der Europastrasse E45 in die schwedische Wildnis

Also beschloss ich, in das kleine Dorf Kvikkjokk zu fahren. Das liegt 120 Kilometer von der Haupstraße E45 in Richtung des Sarek Nationalparks. Doch der beginnt eigentlich erst weiter im Landesinneren (sagte mir der Mann, den ich dort traf, dazu mehr später).

Bereits die Anfahrt entlang des Flusses, der vielleicht gar keiner ist, sondern nur eine Ansammlung von Seen, ist spektakulär. Die ersten Fotos mache ich noch auf einem Parkplatz am Rand des Europavägs E45. Der See oder Fluss ist dort so breit und der starke frische Wind pustet Wellen über die Wasseroberfläche, dass ich mir fast wie am Meer vorkomme. Der Himmel strahlt in einem satten Sommerblau, das Wasser plätschert in einem dunkleren Ton, der die Tiefe des Gewässers erahnen lässt, und dazwischen das saftige helle Grün der Wälder und Wiesen, denn hier oben ist jetzt Anfang Juni Frühling.

Auch die weitere Fahrt entlang der Straße, die in Kvikkjokk endet, lässt mich immer wieder Fotostopps einlegen. Je näher ich meinem Ziel komme, desto mehr schneebedeckte Berge tauchen am Horizont auf, die sich später als die Berge des Sarek Nationalpark herausstellen. Fast zwei Stunden dauert die Fahrt entlang reißender Gewässer, angetrieben und gefüllt von der Schneeschmelze.

Kvikkjokk: das Dorf am Ende der Strasse

Kvikkjokk präsentiert sich auf den ersten Blick als ein pittoreskes Samendörfchen. Das Dorf ist winzig mit nur wenigen Häusern. Mittendrin überrascht die schwarze Holzkirche. Dass sie wie das Herzstück des Ortes wirkt, liegt sicher nicht nur an ihrem Standort – sie ist umzäunt von einem Holzzaun und eine leuchtend grüne Wiese strahlt im Kontrast mit dem warmen Schwarz des Holzes. Ein großes schwarzes Gestell steht hier im Hof – dessen Bedeutung weiß ich allerdings nicht.    

Es ist sehr ruhig, keine Menschenseele sieht man hier draußen. So fahre ich weiter entlang der Straße und suche deren Ende. Dort befindet sich ein großer Parkplatz, doch nur ein paar verloren wirkende Autos stehen darauf. Während ich noch meine Wanderschuhe suche und überlege, was ich denn nun einpacke – der Wind war bisher noch sehr frisch, aber die Sonne scheint heute unermüdlich – sehe ich einen alten Mann, der mit den anderen Touristen spricht. Ehe ich mich versehe, steht er auch vor mir und versucht mich zu überzeugen, eine Bootsfahrt bei ihm zu buchen. Nanu, so eine Bazar-Mentalität ist man ja nun nicht von den Schweden gewohnt!? Ich wollte aber auf dieser Reise auch mehr von den Menschen erfahren, die hier leben. Also höre ich ihm zu.

Die anderen Touristen wollten erstmal wandern gehen und kämen um drei Uhr zurück. Dann will er sich mit ihnen unten am Delta treffen. Ich sage ihm, dass Wandern auch mein Plan sei, doch er lässt nicht locker. Er will mir gleich zeigen, wo das ist. Also folge ich ihm den Berg hinunter ins Dorf. Er lässt die Straße links liegen und geht einen kleinen Wanderweg, den ein Schild als den Kungsleden auswies. Den wollte ich doch wandern, nur in die andere Richtung!

Abstecher ans Delta vor Kvikkjokk

Aber wie das so ist: ein Umweg ist manchmal einfach nur eine interessantere Route. So gehen wir über das Gelände der noch geschlossenen Bergstation über kleine Fußwege bergab, er mit einem zackigen Schritt für einen Mann, der sicher um die siebzig ist, ich vorsichtig, dass ich nicht hinfalle.

Auf dem Weg erzählt er mir, warum er unbedingt heute mit seinem Boot ins Delta hinauswill. Denn das Boot gehört seinem Chef und er darf es nur nehmen, wenn er damit Touristen fährt. Er will uns rausfahren ins Delta, da kann man auch wandern, dann kommt er uns wieder abholen. Er muss eine alte Birke retten. Ein Brennholz, das er sammelt, bevor es der Fluss mit wegreißt. Und Kartoffeln.

Kartoffeln? Die hat seine Frau auf einer Mittelinsel in den Boden eingebuddelt. Der Boden ist besonders fruchtbar da draußen auf den Inseln. Schmecken da die Kartoffeln anders? Er sagt ja. Sie buddeln sie auch an anderen Stellen ein und sie schmecken dann jeweils unterschiedlich.

Er zeigt mir die Stromschnellen, die intensiv sind und auf weichgeschliffenen gigantischen Steinen entlang brausen. Als wir an einem riesigen Stein vorbeikommen wir, tätschelt er ihn höflich. „Ist noch aus der letzten Eiszeit“, und lacht dabei.

Abzweig durch den Fluss

Für den Weg zurück zum Kungsleden, zum Ausgangspunkt am Parkplatz, nehme ich seinen Rat an und laufe direkt an den Stromschnellen flussaufwärts. Der Pfad wird immer schmaler und an einigen Stellen muss ich sogar mitten im Fluss auf den großen ausgewaschenen Steinen laufen. Nur gut, dass noch nicht so viel Wasser hier drin ist. Es sei noch nicht soweit, der Schnee schmilzt jetzt erst, sagte er mir auf meine Nachfrage vorhin am Delta.

Der Ausblick mitten auf diesen Steinen, umgeben vom Rauschen des Wassers, blau und weiß in der Gischt der Stromschnellen, darüber der Ausblick über das grün der Wälder und am Horizont schneebedeckte Gipfel. Wie eine Postkarte!

Wieder angekommen am Parkplatz, mache ich mich dann wirklich über den Kungsleden auf den Weg. Hinein in den Wald. Die Bäume sprießen ganz frisch. Klitzekleine Knospen finde ich an den Birken und Pappeln. Die Natur ist hier gerade mal im Frühling, das was bei uns im März oder April passiert. Es ist Anfang Juni.

Der König aller Wanderwege: der Kungsleden

Der Kungsleden ist ein sehr alter Wanderweg, den Anfang des 20. Jahrhundert das Schwedische Tourismusbüro erschaffen hat. Der Weg sollte durch die schönsten Orte der schwedischen Berge führen – daher der Name: der König aller Wanderwege!

Im Norden endet er in Abisko, im Süden circa 430 Kilometer weiter in Hemavan. Diese Wanderungen kann man in mehrere Abschnitte einteilen – in einige Tage oder sogar Wochen. Es gibt kleine Hütten in Tagesmärschen voneinander entfernt.

Ich stelle fest, trotz der Holzbohlen, die auf die sumpfigen Abschnitte gelegt wurden, sind die festen Wege sehr beschwerlich zu gehen. Sehr große Steine schauen durch und es ist nicht der weiche warme Waldboden, den ich erwartet habe oder von zu Hause kenne. Über mir zwitschern die Vögel, der Wind rauscht stark und kalt von Nordost. Die Sonne brennt von oben und ganz im Hintergrund höre ich das Tosen der Stromschnellen. Hier setze ich mich dann hin und packe mein Brot aus. Turmat. Wie man es im Norden eben so macht.

Ob sie denn oft Überschwemmungen haben, hatte ich vorher den alten Mann an dem Treffpunkt am Delta gefragt. Denn das Wasser im Fluss ist jetzt schon hoch und die Wiesen unterhalb der Herberge sehr nass. Nein, sie leben mit der Natur. So etwas gibt es hier nicht. Er war dabei sehr ernst und fast sauer, meine ich. Nicht, dass ich ihn das frage. Dass es woanders auf der Welt so ist.

Praktisches

Hard Facts zu Kvikkjokk

  • Kvikkjokk liegt 120 Kilometer oder ca 1,5 Stunden Autofahrt von Jokkmokk, dem Zentrum samischer Kultur in Schweden entfernt
  • gelegen im Padjelanta (sam. Badjelánnda), Schwedens größtem Nationalpark und Teil von Laponia, UNESCO Weltkulturerbe seit 1996
  • Jokkmokk ist mit knapp 3.000 Einwohner zwar sehr klein für unsere Verhältnisse, aber ein guter Startpunkt für den Ausflug nach Kvikkjokk
  • von Jokkmokk kann man auch den Bus in den kleinen Ort nehmen
  • wer etwas abenteuerlicher ist als ich, kann hier sowohl eine mehrtägige Wanderung starten oder einen Helikopterflug buchen, mit dem man sogar bis in den Sarek Nationalpark fliegen kann

Mehr zum Kungsleden auf der Website der schwedischen Touristenvereinigung.

Fun Facts

  • Kvikkjokk ist ein in der schwedischen Sprache abgewandelte Form von Sámi Guojkkajåhkå und bedeutet übersetzt so viel wie Stromschnellen
  • Im samischen heißt der Ort Huhttán – übersetzt „die Schmelzerei“, denn im 17. Jahrhundert gab es hier eine Silberschmelzerei.

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