Blau, grün, weiß. Das sind die Farben, die Senja bei mir hinterlassen hat. Dabei kann ich nicht behaupten, dass es einfach nur bestes Sommerwetter gewesen wäre.
Was ich aus meinen Vorabrecherchen über Senja mitgenommen habe, sind Superlative. Auf der zweitgrößten Insel Norwegens soll es steile und zerklüftete Gebirge geben. Wunderschöne Strände. Dichte Wälder, einsame Natur. Besonders schöne Fjorde. Intensives Wetter. Die Insel ist spärlich besiedelt, kaum Straßen und viel unberührte Natur. So wird Senja auch gerne als die Märcheninsel bezeichnet: die spektakulären Landschaften erinnern an Erzählungen aus den Kindergeschichten.
Tatsächlich ist die Insel in dunkle Regenwolken gehüllt, als ich mich ihr nähere. Dicke Tropfen prasseln auf die Autoscheibe, als ich das sommerliche Finnsnes verlasse und die Brücke nach Senja überquere. Ein für eine vorgelagerte Insel überdimensionaler Berggipfel versteckt sich in einer dieser schwarzen Wolken. Sehen tue ich ihn nicht, während ich ihn auf kleinen Bergstraßen umkurve.
Die „Nasjonale Turistveg“ – die offizielle Senja Landschaftsroute
Ich fahre einmal quer von Südosten nach Norden durch das Innere der Insel, bis ich zur nördlichen Straße komme. Diese ist eine „Nasjonale Turistveg“ – eine vom offiziellen Tourismusbüro deklarierte Landschaftsroute, die die Highlights einer Region verbindet, und die Fahrt selbst ist eines dieser Highlights.
Heute biege ich erst einmal links ab. Das Schauspiel vor mir lässt mir buchstäblich den Mund offen stehen. Das Wasser ist türkis. Dazwischen an den steinigen, zerklüfteten Ufern kleine rote Holzhäuschen. Rechts und links die hohen Berge von Senja, oben noch wolkenverhangen. Unten der weite Blick auf das offene Meer im strahlenden Sonnenschein. Das muss das Paradies sein.
Gryllefjord
Später, in meiner Unterkunft für die nächsten zwei Tage, finde ich mich in dem kleinen Dorf Gryllefjord wieder. „Wir sind hier eine kleine Gemeinde“, erzählt mir mein Gastgeber. Er hat einen Tante-Emma-Laden. Daneben ein Restaurant. Die winzige Seitenstraße ist mit Wimpeln geschmückt. Gegenüber dem Restaurant ein kleiner Platz mit einem weißen Pavillon. Davor neue Holzbänke und Tische. Rundherum bunte Blumen in Töpfen. Im Fahrradständer davor stehen zwei bunt besprühte Fahrräder. Kunst, Kultur, den eigenen Raum schön halten. Das ist den Nachbarn hier wichtig.
Ich parke außerhalb, da die Straßen freibleiben sollen. Wie für den kleinen Jungen, der schon zwei Mal im Laden meines Vermieters war. Ich verstehe nicht, was er sich erhofft. Aber die Stimmen der Beiden lassen erahnen, dass er oft kommt und sie sich gut kennen. Bestimmt gibt es immer mal etwas Süßes oder Limo auf das Haus.
Spaziergang in einsamen Fjord
Später gehe ich den langen Weg zum Ende der Bucht. Ein Aussichtspunkt. Und was für einer. Blickt man zurück, sieht man das lange Tal des Fjords mit den riesigen Felsen links und rechts des kleinen Dorfes. Eingehüllt in Wolken, die stetig versuchen, über den Rand zu kriechen und sich doch nicht fortbewegen.
Auf der anderen Seite das Meer. Dunkelblau und ruhig. Am Horizont ein weiterer hoher Felsen, schneebedeckt. Das muss eine andere Spitze von Senja sein. Stachelig so könnte man die Insel bezeichnen.
An diesem Aussichtspunkt befindet sich eine Grillhütte. Auch die ist neu, auf einem Holzpodest auf Stelzen gebaut. Mit einem Schloss versehen. Ich kann mir gut vorstellen, wie sich hier im Sommer die Nachbarn treffen, abends gibt es ein paar Pølse (norw. „Würste“) auf dem Grill und ein paar Øl (norw. „Bier“). Es ist ruhig hier und wunderschön. Auf dem Rückweg aber ist der Wind eisig und ich frage mich, wie es hier wohl im Winter ist. Oder im Sommer, ertappe ich mich. Ach, es ist ja Sommer (Anmerkung: es war Mitte Juni). Na gut, dann ist das hier wohl kein Leben, das ich mir auf Dauer vorstellen kann.
Über den Wolken Senjas
Später setze ich mich wieder ins Auto und fahre den Berg hinauf in den Nachbarort Torsken. Die Straße führt hoch hinauf und die Aussicht ist einfach atemberaubend. Die Wolken, die sich in den letzten Stunden immer wieder über den Bergkamm vor Gryllefjord geschoben haben, ohne auch nur einen Millimeter voranzukommen, sind jetzt in voller Breite zu sehen.
Majestätisch erheben sich die Berge vor dem blauen Himmel, die Wolken wie der Pelz eines königlichen Umhangs. Davor das schmale Tal mit seinem sattblauen Wasser.
Am nächsten Tag will ich mir noch den westlichen Teil der Landschaftsroute anschauen. Im Tal von Gryllefjord ist alles grau in grau und ich bin schon traurig, dass der Senja Tag nicht die tollen Fotos hergeben wird, wie ich sie im Netz gesehen habe.
Entlang der Landschaftsroute nach Osten
Doch weit gefehlt. Ich fahre durch den Tunnel hindurch und dahinter ist der Himmel blau, die Sonne scheint! Der Wind weht frisch an den wenigen Haltestellen entlang der Straße, aber das Meer schimmert türkis. Die Straße hat ihre besten Zeiten schon hinter sich, schmal, voller Löcher und kaum Möglichkeiten, die herrliche Natur in Ruhe zu fotografieren. Dazu kommen unzählige Baustellen, die den Verkehr zusätzlich erschweren. Aber auch das ist machbar, schließlich bin ich im Urlaub. Nur die LKWs, die mir mit voller Geschwindigkeit entgegenkommen, denen ist es egal, ob die Straße zu schmal für zwei Autos ist oder wie viele Löcher sie schon hat. Ich fand das Fahren auf Senja sehr abenteuerlich!
Zudem ist der westliche Abschnitt wegen Bauarbeiten komplett gesperrt. Aber so weit es geht, will ich fahren. Zurück nach Straumsbotn, von wo ich gestern gekommen bin, und auf die 862. Hier geht es sehr steil bergauf, die Berge erinnern hier wirklich stark an die Alpen. Nach einem Tunnel öffnet sich der Blick auf den nächsten Fjord. Und wow!
Bergsbotn
Hier, auf dem offiziellen Ausflugsparkplatz Bergsbotn, ist alles besetzt – kein Wunder bei dieser Aussicht. Viel Zeit zum Überlegen bleibt auf der Serpentinenstraße nicht. Also fahre ich erst einmal vorbei – muss ich doch den gleichen Weg später sowieso zurückfahren. Im Tal halte ich dafür an und kann mich an den Bergen nicht satt sehen.
Abzweig nach Bøvær
Weiter geht es auf der Straße entlang der malerischen Fjorde, immer bergauf und bergab. Bei Straumsnes biege ich von der Landschaftsroute ab und tuckere durch Skaland zum Aussichtspunkt Bøvær. Dass es dieser Strandabschnitt nicht auf die Punkte der Landschaftsroute geschafft hat, lässt mich wundern, wie viel schöner es dort noch sein wird.
Tungeneset
Nach einer kurzen Atempause an der frischen Luft geht es weiter zu einem wahren Highlight Senjas, am Aussichtspunkt Tungeneset. Schon der Rastplatz selbst ist in einem wunderschönen Design erbaut, über einen schön gestalteten Steg aus Lärchenholz, dessen Geländer so zerklüftet sind wie Senja selbst, geht es zum Strand. Von hier aus kann man den Blick auf die Bergkette Okshornan bewundern. Wie spitze Zähne ragen die Gipfel grau und exotisch aus dem wilden Meer. So wird sie auch manchmal als „Devil’s Jaw“ (des Teufels Kiefer) bezeichnet.
Ersfjordstranda
Generell sieht man in Norwegen sehr häufig, dass Rastplätze oder Aussichtspunkte architektonisch sehr hochwertig gestaltet sind. Quasi eine Sehenswürdigkeit für sich. So auch an der nächsten Station der Landschaftsroute: am Ersfjordstranda. Der Design-Gimmick dort: ein goldenes Toilettenhäuschen auf dem Parkplatz!
Mefjordvær
Ich fahre weiter nach Mefjordvær, einem winzigen Fischerdorf am Rande eines Fjords. Danach ist der weitere Verlauf der Landschaftsroute aufgrund von Bauarbeiten gesperrt. Langsamer und mit mehr Zeit für die Schönheit der Landschaft fahre ich zurück, will ich doch noch die Aussichtsplattform Bergsbotn besuchen.
Bergsbotn Aussichtsplatform
Und diesmal habe ich Glück. Es ist Platz zum Parken und ich kann die Aussicht in alle Richtungen genießen.
Die Konstruktion der Plattform ist auch hier wieder Teil des Ganzen und man hat unzählige Möglichkeiten zu fotografieren – durch die geschwungenen Wege sogar weit über den anderen Besuchern.
Ich bin sehr froh, dass der Halt hier noch geklappt hat – wahrscheinlich mein absolutes Highlight auf Senja!
Praktisches
Hard Facts
- zweitgrößte Insel Norwegens
- liegt im Norden Norwegens, Troms og Finmark
- 350 Kilometer nördlich des Polarkreises
- circa 72 Kilometer lang und 50 Kilometerbreit
- Höchster Berg Breitinden 1.001 Meter
- knapp 8.000 Bewohner
Anreise
- Ab Tromsø mit Auto von Süden via Finnsnes (so wie ich)
- Ab Tromsø über Sommerarøy mit der Fähre nach Botnhamm
- Ab Andøya mit der Fähre (über die Überfahrt schreibe ich beim Andøya Artikel)
- von den Vesterålen nach Skrolsvik
Generell gilt: die Fähren gehen nicht so häufig und es lohnt sich vor allem in der Hauptreisezeit sehr früh da zu sein.
Link zur offiziellen Seite der Landschaftsroute